Heft 1/2020: Selbstbestimmung sichern - Rechtliche Betreuung
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
gerade mal gut 25 Jahre ist es her, dass das alte Entmündigungs-, Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht grundlegend reformiert wurde. 1992 wurde durch das Betreuungsgesetz eine ganz andere Grundhaltung gegenüber den Menschen ausgedrückt, die aufgrund von Erkrankung oder Behinderung längerfristig oder vorübergehend nicht alle ihre Belange selber regeln können. Die Selbstbestimmung und die Individualität der Betreuten wurden in den Vordergrund gestellt. Bevormundung war gestern. Selbstbestimmung sichern war und ist das erklärte Ziel der Rechtlichen Betreuung1 (vgl. Winterstein ab Seite 27).
Wir haben Menschen gefragt, die von Rechtlichen Betreuer/-innen2 begleitet werden. Lesen Sie von guten Erfahrungen (Frank, Seite 03; Klingmann, Seite 04), von unterschiedlichen Lebensbewertungen, die zum Bruch mit einer Betreuerin führten (Krüger, Seite 08) oder auch von klarer Ablehnung einer Rechtlichen Betreuung (Erhard, Seite 09). Wir haben in dieser Orientierung auch zur anderen Seite geschaut. Was macht ein Betreuungsverein
(Kern, Seite 20), was tut eine Berufsbetreuerin (Özkan, Seite 24), in welchen Dilemmata stecken manchmal Angehörige, die zu Betreuern werden (Eichler, Seite 16). Ein Blick über den aktuellen Tellerrand ordnet die Rechtliche Betreuung ins BTHG und in den neuen Behinderungsbegriff ein (Gellert-Beckmann, Seite 14). Kritisch-soziologisch setzt sich Adler (Seite 36) vor dem Hintergrund der Ideen von Michel Foucault und Pierre Bourdieu mit dem
gesellschaftlichen Phänomen Betreuung auseinander. Was kann man tun, wenn Betreuung (ethische) Grenzfragen berührt, fragt Kaltarar (Seite 33). Wenn Sie einfach Infos suchen, wie der Weg zu einer Rechtlichen Betreuung funktioniert, oder welche anderen Möglichkeiten der Vorsorge es gibt, sind Sie bei Schneider (Seiten 10 und 40) gut aufgehoben.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt es in § 1896 Abs. 1: „Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer." Würdebewahrer (Hamburger, Seite 18) sind dann gesucht – ein stimmiges Synonym für Rechtliche Betreuung!
1 Rechtliche Betreuung ist der formal korrekte Begriff. Synonym wird alltagssprachlich aber immer auch der Begriff Gesetzliche Betreuung genutzt.
2 „Rechtliche Betreuer/-innen“ – nicht zu verwechseln mit „Bezugsmitarbeiter/-innen oder ähnlichen Profis: Sie werden umgangssprachlich gelegentlich auch „Betreuer/-innen“ genannt!
Gute Lektüre wünscht
Martin Herrlich
Editorial und Inhaltsverzeichnis (PDF-Datei, 63 kb)
Autoren dieser Ausgabe
Adler, Reiner, Ernst-Abbe-Hochschule Jena Fachbereich Sozialwesen, seit 1999 Professur Management im Non-Profit-Sektor, Verwaltungswissenschaftler/Soziologe, mehrjährige Berufserfahrung als Berufsbetreuer
Eichler, Karl, Vorsitzender des Angehörigenbeirates für Menschen mit geistiger Behinderung und seelischer Erkrankung, Herzogsägmühle, lebt in Konstanz
Erhard, Alfred, wohnt und arbeitet schon seit 35 Jahren in der Behindertenhilfe Ostalb der Samariterstiftung bzw. der Härtsfeldwerkstatt, seit 18 Jahren wohnt er im ABW in Neresheim.
Frank, Karl-Ernst, lebt und arbeitet in Neresheim. Wird begleitet von der Samariterstiftung Behindertenhilfe Ostalb, Neresheim.
Gellert-Beckmann, Stefanie, Dipl.-Pädagogin, Dipl.-Sozialarbeiterin, Systemische Coachin/DGSF, Regionalleiterin Bethel.regional, Hagen, www.bethel-regional.de
Graf-Fischer, Gisela, Bereichsleitung Wohnen in der Samariterstiftung Behindertenhilfe Ostalb, Aalen
Hamburger, Dr. Martin, Diakoniedirektor, Diakonie Wuppertal, www.diakonie-wuppertal.de
Herrlich, Martin, Redaktion Orientierung www.beb-orientierung.de Evangelische Fachschule für Heilerziehungspflege Schwäbisch Hall www.hepschule-sha.de
Jurado, Julien, Sozialarbeiter, tätig im Bereich Ambulant Betreutes Wohnen in der Diakonie Kork
Kaltarar, Hannah, Diakonie Stetten, Kernen im Remstal
Kern, Hartmut, Dipl. Soz. Päd./Supervisor (M. A.), Verein für Betreuungen in Bielefeld e. V., rechtl. Betreuer, Bielefeld
Klingmann, Tamara, wird vom Ambulant Betreuten Wohnen der Diakonie Kork begleitet. Arbeitet in der WfbM.
Krüger, Jana, Mutter von Melissa, arbeitet in der WfbM, Schwäbisch Hall
Özkan, Hülya, Politikwissenschaftlerin (B. A.) mit einem Abschluss in Sozialwissenschaften (M. A.). Tätig als hauptberufliche Rechtliche Betreuerin. Betreuungsbüro Özkan, Bielefeld, Sprecherin im AfB Bielefeld (Arbeitskreis freiberuflicher BetreuerInnen), NRW Landesvorstand im BdB e. V., Mitglied im BdB e. V. (Bundesverband der BerufsbetreuerInnen), Mitglied im Qualitätsregister des BdB e. V. www.betreuungsbuero-bielefeld.de
Schneider, Regine, leitet die Betreuungsbehörde im Landratsamt Schwäbisch Hall und ist auch als Betreuerin aktiv.
Trobisch, Achim, Leiter Geschäftsbereich Menschen mit Behinderung – Wohnen, Stiftung Diakonie St. Martin, Rothenburg OL www.diakonie-st-martin.de
Wiegel, Casi, Fachbereich Sozialpsychiatrie des Diakoniewerks Duisburg GmbH, Duisburg/Ruhrort
Winterstein, Peter, 1. Vorsitzender des Betreuungsgerichtstages e. V., einem Fachverband, der sich als Forum des Dialogs aller am betreuungsgerichtlichen Verfahren und der Rechtlichen Betreuung beteiligten Personen versteht.
Vizepräsident des OLG Rostock i. R., Jurist, lange Jahre Richter in Hamburg, von 1986–1989 im Bonner Bundesjustizministerium tätig, später im Justizdienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung 3 („Verfassung und Recht“) des Justizministeriums, ab 2004 Direktor des Amtsgerichts Schwerin. Lange Jahre Vorstandsmitglied des Vormundschaftsgerichtstages und Mitherausgeber einer Fachzeitschrift im Bereich des Betreuungsrechts
www.bgt-ev.de
Autorenverzeichnis und Impressum (PDF-Datei, 68 kb)
Leseproben
Hilfe, ich brauche einen Betreuer
Nicht (mehr) in der Lage, die rechtlichen Angelegenheiten selbst zu erledigen
Regine Schneider, Landratsamt Schwäbisch Hall
Regine Schneider arbeitet im Landratsamt in der Betreuungsbehörde. Sie ist auch als Betreuerin aktiv. Aus vielen Gesprächen mit Angehörigen und Betroffenen kennt sie die Fragen rund um Betreuung. Wie funktioniert das Betreuungsverfahren? Im Artikel formuliert sie Antworten.
Hilfe, ich brauche einen Betreuer
(PDF-Datei, 260 kb)
Vom Vormund zum Rechtlichen Betreuer
27 Jahre Betreuungsrecht
Peter Winterstein, Erster Vorsitzender des Betreuungsgerichtstages e. V., Schwerin
Peter Winterstein ist Vorsitzender des Betreuungsgerichtstages e. V., einem Fachverband, der sich als Forum des Dialogs aller Personen versteht, die an der Rechtlichen Betreuung beteiligt sind. Im Interview blickt er zurück auf die Geschichte von der Vormundschaft zur Betreuung bis zum aktuellen Betreuungsrechtsänderungsgesetz.